MEINE WUNDERBARE FREUNDSCHAFT MIT MAX MANNHEIMER

ARTIKEL FÜR DIE MÜNCHNER KIRCHENZEITUNG VOM 22.6.2016

Eines Tages rief mich die Chefredakteurin der Münchner Kirchenzeitung an – einst eine BR-Kollegin- und bat mich um einen kurzen Artikel über meine Freundschaft zum Holocaust-Überlebenden Max Mannheimer. Klar, gerne, mach ich! Dabei herausgekommen ist dies…

Ein kleines Reihen-Eckhaus im Münchner Osten. Mannheimer! Ich klingle voller Erwartungen und voller Fragen. Max Mannheimer gibt dem Malerei-Anfänger Scheider Unterricht! Alles komplettes Neuland für mich. Kunst fabrizieren – und einem Mann zu begegnen, der Auschwitz überlebt hat und mir nun seine Künstlerseele offenbart. Hält da meine Seele überhaupt mit? Stefan Scheider und der Holocaust-Überlebende Max Mannheimer sind Freunde.

Max öffnet die Türe. Er habe alles vorbereitet und wir steigen gleich in den Keller hinab. Unzählige Leinwände lehnen an der Wand, Farbdosen, Pinsel und Lappen stapeln sich auf den übrigen Stellflächen. Ein kleines Fenster lässt etwas Tageslicht herein. Sonst nur Neonröhren. „Wie kannst du hier malen, Max, ganz ohne Sonnenlicht?“ „Ich brauche kein Sonnenlicht“, sagt er und greift zu einer Lackdose, „Kunst kommt von innen!“

Wie tritt ein spätgeborener Deutscher zum ersten Mal einem Holocaust-Überlebenden gegenüber? Genau, mit Demut und Schwere. Gefühle, die irgendwie automatisch entstehen. Viel zu lange stolperte ich mit dem blassen Schulwissen über die Shoah durchs Leben, zum Schämen, ja – dann aber packte mich das Thema Holocaust heftig und intensiv. Und plötzlich steht ein Mensch vor mir, der diese Apokalypse überlebt hat. Bei einem Festakt vor zehn Jahren kommt er einfach auf mich zu und reicht mir die Hand. Welche Worte mögen jetzt die richtigen sein? „Herr Scheider, ich mag Ihre Krawatten!“, sagt er. Und nimmt alle Schwere weg. Max hat Humor, alleine das schon erstaunlich bei dieser Vita. Max und Stefan. Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

Zurück im Kunstkeller. Wir malen zusammen ein Bild. Max schleudert eine Kelle Lack über die weiße Leinwand. Sofort markieren wilde dunkelblaue Farbspritzer den Stoff. „Jetzt du!“ Ich halte mit Grün dagegen, nehme zu viel Farbe, das Bild tropft! Anfängerfehler eben. Eine halbe Stunde später ist das Werk getan. Künstler schütten bekanntlich stets ihre Seele aus – genauso sieht das hier aus. Max signiert das Bild links unten mit seinem Künstlernamen „Ben Jakov“ – ich darf rechts daneben. Ich liebe dieses Bild.

Wie viel Kraft muss in einem Menschen stecken, der Auschwitz, Dachau und Theresienstadt überlebt hat – und trotzdem eines Tages beschließt, die Deutschen nicht zu hassen und seine Zelte hier aufzuschlagen? Das braucht innere Stärke und davon hat Max offenbar unendlich viel. Maximale Menschlichkeit eben. „Kandinsky hat mir geholfen“, sagt er. Die Kunst also. Kandinsky, der Blaue Reiter, der die Form verschwinden ließ und das Gefühl auf die Leinwand brachte. Max verstand sofort den abstrakten Ritter in Kandinskys Bildern, der gegen das Böse kämpft. Und dann griff er selbst zum Pinsel.

Die Kunst heilt seine große Wunde, die Narben freilich bleiben. Tagtäglich. Am linken Unterarm. Nummer 99728. Kunst als Kraftspender und Mensch- lichkeit als Motor. Auf einmal wird mir sonnenklar: Ich lerne bei diesem Mann nicht nur das Malen, sondern vor allem fürs Leben! Verzeihen können, eine zweite Chance geben, durch Kunst Lebenstiefe erzeugen. Max stellt mir eine Schachtel Kreide hin, die nächste Lektion. Während mein Kreidestummel mühsam über das Papier gleitet, reden wir über das Vergangene. Max erzählt, man könne in den Haar-Resten von Auschwitz bis heute Spuren von Zyklon B finden. Ich schaue ihn an. „Das ist doch jener Beweis, der alle Holocaust-Leugner widerlegt!“ Er blickt mich fest an, schüttelt leicht den Kopf und sagt: „Ich bin der Beweis!“

6. Februar. Max hat Geburtstag. Den 96. Wieder sitzen Dutzende Freunde in seinem Wohnzimmer, Türklingel und Telefon musizieren im Minutentakt. Max genießt den Rummel und erzählt einen Witz. Dann lässt er sich das Schofarhorn bringen – ein jahrtausendealtes Instrument in der jüdischen Kultur. Er setzt kurz an und bläst mit voller Kraft hinein. Ein gellender, langgezogener Ton aus dem Widderhorn hallt durch die Siedlung. Möge sein Signal noch viele Jahre erklingen.

(Stefan Scheider, der Autor ist Fernseh-Moderator bei ARD und BR.)

Friends 4ever: Max und Stefan - beim Geburtstag des großartigen Mannes.
Friends 4ever: Max und Stefan – beim Geburtstag des großartigen Mannes.
Max signiert unser gemeinsames Bild - er links ich rechts. Ich liebe dieses Bild.
Max signiert unser gemeinsames Bild – er links ich rechts. Ich liebe dieses Bild.
Schon die Titelseite kündigt die Geschichte an!
Schon die Titelseite kündigt die Geschichte an!
Et voilà: Eine Seite über den wunderbaren Max!
Et voilà: Eine Seite über den wunderbaren Max!